Positive Einstellung? Unbedingt. Ausschließlich positiv? Nein danke.
Nicht nur an Weihnachten wünschen wir uns, dass alles leicht und stimmungsvoll ist. Dass das Helle überwiegt. Das ist menschlich. Wer möchte schon Angst, Frust oder Schmerz fühlen? Und doch: Wenn wir unangenehme Gefühle konsequent ausblenden, wird es schwierig.
Denn das Leben kennt beides: Licht und Schatten. Glanz und Dunkel. Freude und Schmerz
Auch an Weihnachten. Optimismus ist gesund. Und angenehm! Aber echter Optimismus bedeutet nicht, das Unangenehme zu ignorieren - sondern zuversichtlich zu bleiben trotzdem. Es bedeutet anzuerkennen, dass es beides gibt: das, was heute wehtut, und die realistische Hoffnung auf ein gutes Morgen. Positivität und Hoffnung existieren neben dem Negativen - nicht anstatt.
Stell dir vor, du hast ein wirklich schweres Jahr hinter dir. Vielleicht gab es einen Verlust in der Familie. Vielleicht eine Krankheit, eine Trennung, berufliche Krisen - oder alles zusammen. Ein Jahr voller Schicksalsschläge, die tiefe Spuren hinterlassen haben.
Nun sitzt du im Adventskaffee, und jemand sagt gut gelaunt: "Ach komm, jetzt ist Weihnachten! Lass das Alte hinter dir! Guck nach vorne, es gibt doch so viel Schönes!"
Und du? Du fühlst dich unverstanden. Nicht wahrgenommen. Nicht ernst genommen. Denn deine Trauer, deine Erschöpfung, deine Angst - sie sind real. Und sie sind da. Auch jetzt. Auch in dieser Weihnachtszeit.
Die gut gemeinte Aufforderung, "positiv zu denken", überpinselt deine Lebensrealität mit einer Schicht Festtagsglanz, die sich unpassend und einsam anfühlt.
Diese "Good Vibes Only"-Mentalität wirkt an Weihnachten besonders grell - und besonders schmerzhaft.
Nicht, weil das Positive nicht auch wahr wäre. Sondern, weil Positivität dann schadet, wenn sie die Gegenwart verleugnet.
Warum zwanghafte Positivität gerade in der Weihnachtszeit schwierig ist
Sie verhindert die gesunde Verarbeitung dessen, was uns belastet. Trauer, Frust, Sorgen oder Ratlosigkeit - sie wollen gefühlt werden. Ignorieren wir sie, bleiben sie stecken.
Sie steht echter Verbindung im Weg. Wo kein Raum für ehrliche Gefühle ist, kann keine Nähe entstehen.
Sie macht einsam. Besonders an einem Fest, das von Gemeinschaft lebt.
Um "immer positiv" sein zu können, müssten wir unsere eigene Realität beschönigen oder anderen das Recht absprechen, traurig oder wütend zu sein. Das ist nicht gesund. Nicht menschlich. Nicht weihnachtlich.
Was stattdessen hilfreich ist - Da sein. Wirklich da.
Ohne Tipps. Ohne "Wird schon!". Ohne Glitzer.
Einfach beim anderen sein - mit dem, was jetzt ist. Denn dadurch entsteht Raum für Wärme, Trost, Nähe. Und später: für echten Optimismus.
Diese Fähigkeit, der eigenen Lebensrealität liebevoll und klar ins Auge zu sehen, nennt man Akzeptanz. Gefühle - Frust, Enttäuschung, Traurigkeit - wollen angenommen werden. Sie sind wie Wellen: sie kommen, haben ihren Höhepunkt und gehen wieder. Keine Welle bleibt ewig, solange wir sie fließen lassen.
Optimismus? Ja.
Emotionale Ehrlichkeit? Auch - gerade jetzt.
Vielleicht dürfen wir uns dieses Weihnachten etwas schenken, das man nicht kaufen kann: Mehr Echtheit. Mehr Mut, unangenehme Gefühle zuzulassen. Mehr Menschlichkeit.
Das ist nicht immer leicht.
Aber es lohnt sich.
Denn wer das Jetzt anerkennt, kann wirklich heilen, wachsen, resilient handeln - und dann, wenn die Welle abgeebbt ist, wieder offen sein für die Hoffnung, die das neue Jahr zweifelsohne mit sich bringt.
Und vielleicht, mitten zwischen Kerzenlicht und den Herausforderungen, die dieses Jahr mit sich gebracht hat, dürfen wir uns daran erinnern:
Dass Licht nicht erst dann wertvoll ist, wenn alles hell ist - sondern gerade dann, wenn es dunkel war.
Dass Hoffnung nicht laut sein muss - manchmal reicht ein kleiner Funke, der zeigt: Es geht weiter.
Dass Verbundenheit entsteht, wenn wir uns echt begegnen - mit allem, was da ist.
Und dass Weihnachten nicht fordert, dass wir strahlen - sondern dass wir spüren dürfen, was uns trägt.
Möge diese Adventszeit Momente schenken, die warm machen. Möge sie Menschen schenken, die Dich sehen, auch wenn du Dich leise fühlst. Und möge das neue Jahr Wege öffnen, die leicht sind, freundlich, hell - in Deinem Tempo, auf Deine Weise.
Frohe Weihnachten!